Bei der Erstellung profitabler Handelssysteme gibt es in etwa so viele Möglichkeiten wie Sandkörner in der Sahara. Viele Systeme sind dabei abhängig von der aktuellen Marktstruktur, von der es immer nur 2 Varianten gibt: Trendmarkt oder Seitwärtsmarkt. Das Schlechteste, was einem bei der Strategie-Konzeption passieren kann ist, dass erstmal alles läuft wie geschmiert. Denn Marktstrukturen ändern sich im Laufe der Zeit und um sein System robust und dauerhaft profitabel zu gestalten, muss man raus aus der Komfortzone, notfalls mit Gewalt.
Am Anfang der Entwicklung eines Handelskonzeptes steht immer die Trading-Idee. Diese besteht aus der Vision von einem Einstieg, der Trade-Verwaltung inklusive Risiko-Management und einem Ausstieg. Im zweiten Schritt folgt ein kleiner Backtest verbunden mit der Frage: Wäre mein System in der Vergangenheit profitabel gewesen? Doch selbst wenn die Antwort „ja“ lautet, ist die Ruhe trügerisch. Denn vergangene Kursverläufe haben im Trading nur bedingt etwas mit der Zukunft zu tun, im Grunde sogar sehr wenig. Die wenigsten Backtests erweisen sich in der Zukunft als profitabel, was nicht mal die Schuld des Marktes ist, sondern aus einer völlig falschen Sichtweise des Traders auf die Börse resultiert. Der Markt und damit ist jeder Wert gemeint, ist ein dynamisches Konstrukt, was sich jederzeit ändert und neu zusammensetzt und somit kaum in fixe Strukturen zu pressen, die über einen längeren Zeitraum Gültigkeit haben. Zu viele Faktoren spielen täglich eine Rolle, die Einfluss auf die Bewertung eines bestimmten Assets nehmen, zu viele verschiedene Marktteilnehmer kommen ständig hinzu oder gehen wieder, als dass diese ein für die gesamte Zukunft gültiges Muster erzeugen könnten. Zu allererst wären hier natürlich News zu erwähnen. News in der Zukunft sind nunmal nicht über vergangene Kursverläufe einzupreisen und somit auch nicht vorhersehbar. Nachdem wir also ein (vermeintlich) profitables Handelssystem gebaut haben, lautet die erste Frage:
- Was macht unser System im Fall von News? Ist es robust genug bei News oder müssen wir es abschalten?
Marktbedingungen ändern sich ständig
Einer der wichtigsten Parameter und Herausforderungen in der Konzeption von Handels-Strategien sind die sich ständig verändernden Marktbedingungen. Ein Faktor, der die Entwicklung profitabler Handelssysteme vor große Herausforderungen stellt und es zwingend erforderlich macht, dass das System auf jede veränderte Martbedingung eine passende Antwort hat. In allererster Linie sind hier zu nennen die
- Volatilität sowie die
- ATR, welche beide miteinander zusammenhängen.
Steigt die Volatilität in einem Markt, steigt auch die ATR in diesem Wert. Von daher ist es zwingend notwendig, sein System stets an die aktuelle ATR anzugleichen, um weiterhin mit einem statistischen Vorteil zu arbeiten und nicht vom Markt überrannt zu werden oder aufggrund zu kleiner Bewegungen kein Geld zu verdienen. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die Entwicklung der Volatilität ist (bedingt) prognostizierbar, nämlich über die Saisonalität des Volatilitätsindex VIX. Ausgestattet mit dieser Information müssen wir nicht komplett im Dunkeln stochern und wissen bereits in etwa vorab, wann wir innerhalb eines Jahres mit höherer und wann wir mit niedrigerer Vola zu rechnen haben. Auch intraday können wir klare Zeiten definieren, in denen es zu hoher oder zu niedriger Vola kommt. Dann gilt es, die Systeme entsprechend darauf anzupassen.
Trend vs. Range
Egal welchen Handelsansatz man auch verfolgt, die Unterscheidung zwischen Trend- und Range-Markt sollte jeder Trader drauf haben. Der Wechsel der beiden Phasen liegt in der Natur des Marktes, wenn starke Preisveränderungen sich erstmal wieder austarieren müssen, wenn Marktteilnehmer Gewinne glattstellen und andere in die Gegenrichtung traden. So entsteht eine Konsolidierung. Weder im einen noch im anderen System ist es schwer, Geld zu verdienen. Die Tücke liegt jedoch darin, im Wechsel der beiden Phasen rechtzeitig umzuschalten und sein System auf die neuen Bedingungen anzupassen, um das verdiente Geld in der neuen Phase nicht wieder abzugeben. Im klassischen Volumentrading sprechen wir hier von Märkten, die sich einerseits „in Balance“ befinden oder „aus der Balance“ geraten, was man zum Beispiel an der Entwicklung des Market Profiles ablesen kann. Wir alle kennen die profitablen EMA-Systeme, die in einem stabilen Trend gutes Geld verdienen. Doch es dauert nicht lange und dann ist es vorbei mit der Pracht, der Markt geht über die Range-Struktur und alle Gewinne, man zuvor erwirtschaftet hat, werden jetzt wieder im StopLoss verbrannt und die Performance steht bei Null.
- Ein profitables Handelssystem, welches nicht gerade ausschließlich auf kurze Scalps ausgerichtet ist, muss zwingend zwischen Trend- und Range-Markt unterscheiden können, um bei einem Wechsel der Marktstruktur wenigstens kein Geld zu verlieren.
Raus aus der Komfortzone
Um eine objektive Beurteilung des eigenen Handelssystems vornehmen zu können, müssen wir zwingend raus aus der Komfortzone und unser System notfalls mit Gewalt Situationen aussetzen, in denen es an seine Grenzen kommt. Denn es ist wenig hilfreich, wenn alles läuft wie geschmiert. Früher oder später wird sich die Marktstruktur ändern, auch wenn es Monate dauert. Doch solange müssen wir nicht warten. Nachdem wir also unser Handelssystem auf Profitabilität getrimmt haben, müssen wir versuchen, es irgendwie an seine Grenzen zu führen, um es unprofitabel zu machen und um in unbequemen Situationen auf jede Reaktion des Marktes eine passende Antwort zu haben. Da uns ein Backtest im selben Wert hier nicht zwangsläufig zu einem guten Ergebnis führt, können wir einen Trick anwenden und unser Range-System mal auf einen Trendmarkt in einem anderen Wert aufsetzen und umgekehrt, um zu sehen, wo die Schwachstellen liegen und wie wir diese beheben können. Im konkreten Extremfall könnte man so beispielsweise ein System auf den SPX mal auf den USDJPY ansetzen um zu sehen, wie einem die Positionen um die Ohren fliegen und welche Gegenmaßnahmen man ergreifen kann, um den Effekt abzumildern oder ins Positive zu wenden. Auch im Bereich des Extremsports kennt man diese Methode unter dem Aspekt des „overreachings“, wo man versucht, bereits im Training mit schwereren Gegnern zu kämpfen oder eine höhere Leistung abzurufen, als es im eigentlichen Wettkampf dann nötig ist. Auch kann es hilfreich sein, sein System, welches auf den Einsatz bei hoher Volatilität getrimmt ist, mal auf einen Wert anzuwenden, der über eine geringere Volatilität verfügt und umgekehrt um herauszufinden, was das System bei einem Wechsel der Marktstruktur mit den aufgelaufenen Gewinnen macht. Das erste Ziel sollte für den Strategie-Entwickler darin liegen:
- bei einem Wechsel der Marktstruktur kein Geld mehr zu verlieren,
das übergeordnete Ziel des Entwicklers sollte sein:
- sich schnell an die neue Marktstruktur anzupassen und auch in dieser noch Geld zu verdienen.